Strommarktreform Merit Order

Die Merit-Order, was ist das und wie funktioniert sie?

Die Merit-Order regelt die Preisbildung am kurzfristigen Markt, den sogenannten „Day-Ahead Markt“ (Spotmarkt). Diese Preisbildung erfolgt entlang der jeweiligen Grenzkosten der einzelnen Kraftwerke, die zur Deckung der benötigten Last gebraucht werden.

Was das genau heißt, werde ich nun erklären.

Erzeugung und Entnahme in einem Stromnetzt müssen zu jeder Sekunde ausgeglichen sein, da man Strom nicht in großem Umfang speichern kann.

Die Netzfrequenz von 50 Hz in Europa muss stabil bleiben. Bei zu viel Erzeugung im Netz steigt die Frequenz und bei zu wenig sinkt sie.

Jeden Tag ist genau die Stromerzeugung nötig, um den Bedarf an Strom zu decken. Der Strombedarf ist je nach Tages- und Jahreszeit verschieden. Zur Deckung des Verbrauchs, auch Last genannt, werden Kraftwerke benötigt. Und zwar für jede einzelne Stunde am Tag.

Merit-Order – Die Kraftwerke bieten für ihren Einsatz

Die einzelnen Kraftwerke geben dabei Gebote ab, die ihren Grenzkosten zur Erzeugung von elektrischer Energie je MWh entsprechen. Man könnte sagen, sie bewerben sich um eine Auftragserteilung und nennen den Preis, zu dem sie erzeugen können. Hierbei spricht man von einer einseitigen Auktion (pay-as-clear).

Das letzte Kraftwerk, welches noch benötigt wird, um die Nachfrage zu decken, bestimmt den Preis. Das sogenannte Grenzkraftwerk. Diesen Preis bekommen im Anschluss alle Erzeuger, die benötigt wurden, um die Last zu decken. Kurz gesagt, der letzte benötigte Erzeuger ist auch der teuerste und bestimmt den Preis, den im Anschluss alle benötigten Erzeuger bekommen. Das ist der Markträumungspreis.

Die Anbieter haben dadurch jedoch den Anreiz, so niedrig wie möglich anzubieten. Denn wenn ihr Gebot über dem des als letzten benötigten Erzeugers liegt, kommt das Kraftwerk nicht zum Einsatz.

Die Reihenfolge der Kraftwerksarten

Sehen wir uns die größten thermischen Kraftwerke, vor der Abschaltung der Kernkraftwerke, und die Reihenfolge ihrer Grenzkosten von günstig zu teuer in vereinfachter Form an:

Kernkraft, Braunkohle, Steinkohle, Gas- und Dampfkraftwerke (GuD), Gasturbinen, Ölkraftwerke

Die Grenzkosten sind in diesem Fall die variablen Kosten der Kraftwerke. Diese Kosten bestimmen sich durch eine Reihe von Faktoren. Im Fall eines Kohlekraftwerks, spielt natürlich der Kohlepreis eine Rolle. Bei einer Gasturbine, der Gaspreis und so weiter. Hinzu kommen noch der elektrische Wirkungsgrad des Kraftwerks, Emissionskosten (Co2-Preise) und weitere Faktoren. Je nach Gegebenheiten können sich die Grenzkosten der Kraftwerke verschieben und somit auch die Reihenfolge verändern.

Kraftwerke müssen Emissionszertifikate kaufen

Kraftwerke emittieren im Betrieb Treibhausgase, für deren Ausstoß sie Emissionszertifikate (Co2) erwerben müssen, um die Umweltbelastung zu kompensieren. Dieser Co2 Preis, spielt also auch eine große Rolle bei den Grenzkosten.

Erneuerbare Energien mit Kosten gleich Null

Erneuerbare Energien haben Grenzkosten von fast Null. Diese sind also ganz vorne in der Merit-Order. Denn Wind, Wasser und Sonne stehen kostenlos zur Verfügung. Sie stoßen auch keine Emissionen aus. Photovoltaik (PV) zum Beispiel verdrängt im Sommer viele Kraftwerke aus der Merit-Order, während im Winter die PV-Einspeisung deutlich abnimmt. Somit ist jede Abfolge der Merit-Order abhängig von Wetter, Jahreszeit, Tag, Stunde, Co2 Preise, Brennstoffe und Wirkungsgrad. Die Verfügbarkeiten der Kraftwerke spielen ebenfalls eine Rolle.

Die Nachfrage bestimmt den Kraftwerkseinsatz

Wie viele Kraftwerke benötigt werden, liegt an der benötigten Last pro Stunde. In den Nachstunden werden weniger Kraftwerke benötigt als in den Stunden tagsüber. Wochen- oder Feiertage, Wochenenden und die Erzeugung der Erneuerbaren spielen ebenfalls eine große Rolle. Somit verschiebt sich der Markträumungspreis, also das Grenzkraftwerk, das als letztes benötigt wird, je nach dem Bedarf an Strom.

Erneuerbare Energien verdrängen thermische Kraftwerke

Sehen wir uns ein Beispiel aus den Jahren vor dem Ukraine Krieg, grafisch an. Die Erneuerbaren machen den Anfang und in der Regel sind Öl-Kraftwerke die letzten in der Merit-Order. Man erkennt, wie die erneuerbaren Energien die hinteren thermischen Kraftwerke „verdrängen“.

 

Merit Order

In der zweiten Grafik sehen Sie, wie die Grenzkosten der Kraftwerke, während der Ukraine Krise durch die Decke gingen. Rohstoffe, wie Kohle und Öl stiegen massiv, die Gaspreise stiegen noch weitaus höher.

 

Merti Order Gaskrise

Keine Kernkraftwerke mehr seit April 2023

Im April 2023 gingen in Deutschland die letzten Kernkraftwerke vom Netz. Das heißt auch, dass sie in der Merit-Order nicht mehr zum Einsatz kommen und somit als Erzeuger mit niedrigen Grenzkosten wegfallen.

Merit-Order: Weg damit? 

Seit dem Krieg in der Ukraine und den stark gestiegenen Gaspreisen wurden Stimmen laut, die Merit-Order abzuschaffen. Denn immerhin bestimmt nach Merit-Order das teuerste benötigte Kraftwerk den Preis.

Das ist doch unfair, oder etwa nicht? 

Die Merit-Order ist im Prinzip nichts anderes als ein toll klingendes Wort für Angebot und Nachfrage. Bei homogenen Gütern die nicht in der Qualität unterscheidbar sind, wie zum Beispiel Zucker, Weizen oder Öl kann es im Prinzip nur einen Preis geben. Wenn Sie ihr Auto volltanken, wissen sie auch nicht, ob das Öl jetzt aus Ghawar in Saudi-Arabien stammte oder aus dem Permian Basin in Texas. Insofern ist das Verfahren Marktwirtschaft nach Lehrbuch. Es gibt zwar kleine Unterschiede, wie dass die Merit-Order die variablen Kosten der Stromerzeugung berücksichtigt, trotzdem teilt sich die Merit-Order grundlegende Prinzipen mit anderen homogenen Gütern.

Pay-as-Clear vs. Pay-as-Bid

Ebenfalls wird viel diskutiert ob es vielleicht besser sei, Pay-as-Bid anzuwenden. Das würde bedeuten, dass jedes Kraftwerk genau den Preis bekommen würde, den es geboten hat. Das könnte jedoch dazu führen, dass die Kraftwerke ihre Gebote strategisch gestalten, also höher abgeben als ihre Grenzkosten.

Bei Pay-as-Clear wie oben beschrieben, bekommen alle Kraftwerke die zum Einsatz kommen, einen Einheitspreis der den Grenzkosten der Kraftwerke entspricht.

Viele zerbrechen sich den Kopf welches Verfahren oder Marktdesign den am besten ist. Oft ist es jedoch so, dass je nach persönlicher Präferenz, also ob die Person oder Institution für oder gegen erneuerbare ist, das Ergebnis entsprechend ausfällt.

Sollten wir es jemals schaffen mit SWB (Solar, Wind, Batterien) unseren Bedarf zu decken, wird die Merit Order sowieso Geschichte sein. Bis dahin, wird der Spotmarkt durch den Preis von fossilen Rohstoffen bestimmt.

Die Merit Order ist nicht schuld an den hohen Energiepreisen.

Wie ich in diesem Artikel beschrieben habe, werden die Preise für Endkunden durch die Terminmärkte bestimmt. Es gibt zwar Spotmodelle und kurzfristige Strategien, jedoch wird der Großteil der Absatzmengen von Energieversorgern im Vorfeld abgesichert (hedged). Das heißt, an den Terminmärkten treffen sich Käufer und Verkäufer die langfristig ihren Strom einkaufen oder dort verkaufen. Das können zum Beispiel Stromerzeuger und Stromlieferanten sein.

Kraftwerksbetreiber haben immer noch die Möglichkeit mittels sogenannter „Realoptionen“ die Fahrweise ihres Kraftwerks so wirtschaftlich wie möglich zu gestalten. Beispielsweise können sie die Erzeugung runter fahren, wenn es wirtschaftlich nicht sinnvoll ist zu erzeugen. Um ihren Lieferverpflichtungen nachzukommen würden sie den Strom einfach einkaufen.

Das Volumen an den Terminmärkten ist auch um ein Vielfaches höher als auf dem Spotmarkt. Wie Termingeschäfte funktionieren, erfahren Sie hier.

Das heißt, die heftigen Preissteigerungen haben erstmals nur Kunden betroffen, die kurzfristigen Verträge hatten. Vermutlich waren sich einige der Risiken nicht bewusst oder wurden schlecht beraten. Warum Preissteigerungen mal später oder früher an Endkunden weitergegeben werden, lesen Sie in diesem Artikel

Keiner redet über die Börse!

Ein Thema, welches überhaupt nicht in den Medien besprochen wird im Zusammenhang mit den Preisexplosionen, ist die Funktionsweise von Börsen.

Die Marktmechanik und das Verhalten der Marktteilnehmer an der Börse spielt eine sehr große Rolle. Wenn Preise stark volatil sind, kommen Angst, Gier und Psychologie ins Spiel. Stops werden gerissen, Händler sind gezwungen offene Positionen zu schließen (hedging), es herrscht mangelnde Liquidität im Orderbuch -> jeder will gleichzeitig zu Tür raus.

Wenn die Angst regiert

Handelspartner die auf einmal keine Angebote mehr stellen, entweder weil sie es nicht mehr können oder nicht mehr wollen. Gegenseitiges Misstrauen ob der jeweils andere überhaupt noch Zahlungsfähig sein wird oder etwa in Schieflage gekommen ist, wie es bei Uniper der Fall war.

Kunden erteilen Aufträge zur Strom- oder Gasbeschaffung, diese können aber Tagelang nicht ausgeführt werden, da es keinen Verkäufer mehr gibt. Manche Produkte sind über Wochen komplett illiquide. Zahlreiche Tranchenkunden bekommen es mit der Angst zu tun und lösen Beschaffungen aus oder wollen noch schnell einen neuen Vertrag, da sie noch für das nächste Jahr noch keinen haben. Energielieferanten stellen aber teilweise gar keine Angebote mehr, da es jetzt um das finanzielle Überleben des Unternehmens geht und keine Risiken mehr eingegangen werden.

Die Kunden die noch Angebote erhalten, mussten mit gewaltigen Risikoaufschlägen leben. Kunden und Versorger geraten in Schwierigkeiten, da sie die Preissteigerungen als kurzfristig einschätzen und ihre Hoffnung mit den fatalsten Sprüchen an den Börsen überhaupt am leben halten, wie zum Beispiel: „das fällt schon wieder„.

Ein ganz normaler Börsencrash

Im Prinzip, war das ein ganz normaler Crash, wie er immer wieder in verschieden Märkten vorkommt. Es verläuft immer nach den selben Mustern. Komischerweise redet keiner darüber. Märkte funktionieren nunmal nicht wie im Lehrbuch, in Extremsituationen beherrscht die Psychologie das Handeln.

Beendet die Strommarktreform die Abhängigkeit von fossiler Energie?

Die EU hat im Oktober 2023 eine Reformierung des Strommarkt beschlossen. Wie diese Reform aussieht, erfahren Sie in diesem Artikel: EU-Strommarktreform

 

 

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Michael K