Deutschland ist frei von Atomkraft und darauf sind viele Stolz. Was für die einen ein Meilenstein des Fortschrittes ist, ist für die anderen „Die dümmste Energiepolitik der Welt“. So schrieb es zumindest das Wallstreet Journal 2019. Wie kam es eigentlich dazu und wem haben wir das zu verdanken?
Von einem amerikanischen Kollegen wurde ich gefragt, woher unsere sture Abneigung gegen die Atomkraft herkommt und warum wir auch während einer Energiekrise daran festhalten.
Meine Erklärung für Ihn habe ich zum Anlass genommen, um in diesem Blogartikel kurz die Entwicklungen zu beschreiben, die schon viele Jahrzehnte zuvor den Ausstieg aus der Kerntechnik eingeleitet haben.
Die Atomkraft und die berühmte „German-Angst“
In den 70ern, in den Überfluss-Zeiten nach dem 2. Weltkrieg und dem „deutschen Wirtschaftswunder“ kamen verschiedene Ängste auf.
- Die Angst vor dem „Waldsterben“,
- die Angst vor dem „Ozonloch“,
- die Angst vor der „Atomkraft“ und einem „Atomkrieg“.
Der erste Widerstand gegen Atomkraft
Zuerst gab es in den 70ern nur eine kleine Protestbewegung von Bauern und Winzern, die nicht wollten, dass in Wyhl am Kaiserstuhl, ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte. Sie befürchteten eine Industrialisierung des Gebietes und eine negative Beeinflussung der Landwirtschaftlichen Produktion. Viele Bürger fühlten sich außerdem übergangen bei der Entscheidung zum Bau des Atomkraftwerks. Zu den Protesten begaben sich Studenten aus dem Anti-Kapitalistischen-Lager. Die Proteste wurden immer größer.
Der erste große Erfolg der Anti-Atom-Bewegung
1977 gelang es der Anti-Atomkraft-Bewegung einen Baustopp für das geplante Atomkraftwerke in Wyhl zu erwirken. Das Verwaltungsgericht Freiburg stoppte den Bau. Dadurch hatte die Anti-Atomkraft-Bewegung zum ersten Mal große mediale Aufmerksamkeit.
Ebenfalls im Jahr 1977 wurde in Freiburg das Öko-Institut gegründet, das sich unter andrem mit der Forschung im Bereich Ökologie und alternative Lösungen für die Energieversorgung beschäftigt. Anfang der 80er erschienen Bücher und Studien, wie z. B.: „Energiewende: Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“ (Krause, Bossel, Müller-Reißmann).
Angelehnt an die Bewegung in den USA und dem Werk von Amory Lovins „Soft Energy Parths“.
Atomkraft oder Kernkraft?
Ein weiterer Erfolg aus Sicht dieser Bewegung ist es, dass sich umgangssprachlich in Deutschland die Wörter Atomkraft, Atomkraftwerke oder Atomenergie durchgesetzt haben. Dabei wäre der korrekte Begriff „Kernkraft“, denn genau das passiert in einem Kernkraftwerk – eine Kernspaltung.
Allerdings klingt Atomkraft viel dramatischer und die Verbindung zur Atombombe ist schnell hergestellt. Ich verwende bewusst in diesem Blogbeitrag, den Begriff Atomkraft, auch wenn ich sonst eher von Kernkraft sprechen würde.
Die ersten Unglücke der Atomkraft
Durch die Angst vor einem Atomkrieg und durch die Vorfälle den Atomkraftwerken in Three Mile Island (Harrisburg, USA) in dem es 1979 zu einer partiellen Kernschmelze kam und der bekannten Katstrophe im Jahr 1986 in Tschernobyl (Ukraine) wurde die Atomkraft zu einer größeren Bedrohung. Bis heute besteht außerdem die Angst, dass die Atomkraftwerke zur Herstellung von atomwaffenfähigem Plutonium genutzt werden könnten, obwohl kommerzielle Kernreaktoren dafür gar nicht geeignet sind.
Proteste gegen Militärbasen
In den 1980er Jahren kamen zusätzlich Proteste gegen den US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein hinzu, da in Deutschland Pershing-II-Raketen stationiert wurden. Diese galten als Antwort auf die Stationierung von sowjetischen SS-20-Raketen. Dies steigerte die Angst vor einem Atomkrieg noch weiter. Die Partei „Die Grünen“ spielten bei den Protesten eine große Rolle.
Persönliche Erinnerungen an die Atomkraft-Katastrophe
Ich bin in den 80ern aufgewachsen und kann mich an Tschernobyl und die Ängste vor einer kompletten Verstrahlung ganz Deutschlands noch gut erinnern. In der Schule und in der Familie wurde viel über Tschernobyl diskutiert und viele der Ängste waren damals auch begründet.
Bis heute weisen in Bayern Pilze und Wildschweine Spuren von Cäsium auf. Allgemein wird gesagt, dass dies durch das Unglück von Tschernobyl kommt. Heute weiß man, dass auch unterirdische Atomwaffen-Tests dafür verantwortlich sind.
„Die Grünen“ – eine Erfolgsgeschichte
1980 wurde die Partei “Die Grünen“ gegründet, die hauptsächlich aus Atomkraftgegnern, Umweltschützern und Neu-Linken bestand. Nur 5 Jahre später war Joschka Fischer der erste grüne Staatsminister für Umwelt und Energie im Bundesland Hessen. Zur Vereidigung kam er in Nike-Turnschuhen, das war damals ziemlich außergewöhnlich.
Von Sozialisten zu Lobbyisten
Fischer war früher ein militanter Linksextremist und lieferte sich Straßenschlachten mit der Polizei. Nach seiner politischen Karriere wurde er Lobbyist für RWE & OMV machte sich für die Nabucco Pipeline ein und hielt regelmäßig Vorträge bei Barclays und Goldman Sachs.
Fischer war von 1998 bis 2005 Außenminister und stellvertretender Bundeskanzler in Deutschland. In dieser Zeit wurde auch die deutsche Energiewende eingeläutet. Gerhard Schröder (SPD) war damals Bundeskanzler der rot-grünen Koalition.
Schröder wechselte nach der verlorenen Vertrauensfrage und der Wahlniederlage gegen Angela Merkel 2005, von der Politik zu Nord-Stream & Rosneft. Er war laut Gazprom „der wichtigste“ Lobbyist für Gazprom.
Die Weichenstellung für die Energiewende und den Atomausstieg
In ihrem Klimaschutzprogramm beschloss die rot-grüne Regierung den Ausstieg aus der Atomenergie schriftlich am 15 Juni 2000. Es wurde beschlossen, dass keine neuen Atomkraftwerke mehr gebaut und die bestehenden Anlagen nach einer bestimmten Betriebszeit stillgelegt werden sollen. Im Jahr 2021 sollte ursprünglich das letzte Kernkraftwerk vom Netz gehen, so sah es die Novellierung des Atomgesetzes von 2002 vor. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stammt ebenfalls aus dieser Regierungszeit.
Die Kugel Eis
Jürgen Trittin von den Grünen war von 1998 bis 2005 Umweltminister und sagte, Zitat: „Die Energiewende wird nicht mehr kosten als eine Kugel Eis im Monat“.
Heute wissen wir, dass sie Milliarden gekostet hat und nach Schätzungen des Fraunhofer-Instituts bis 2050 weitere 500 bis 3000 Milliarden kosten wird.
Welchen Einfluss hatte Russland auf den Atomausstieg?
International hört man immer wieder die These, dass es gewissermaßen Russlands Plan war, die deutschen verstärkt von einem Atomausstieg zu überzeugen. Somit konnte massiv russisches Gas nach Deutschland fließen und eine Abhängigkeit von Russland wurde hergestellt. Dr. Anas Alhajji, einer der führenden Energieexperten, spricht regelmäßig davon.
Der Boomerang für Rot-Grün
Diese rot-grüne Regierung unter Schröder und Fischer, hatte auch das Nord-Stream-Projekt 2005 unterzeichnet. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die frühere Regierung aus SPD und Grünen, welche die Weichen für die Abhängigkeit Deutschlands von Russland und die Energiekrise gestellt hat, nach 16 Jahren Merkel-Regierung wieder im Amt ist.
Das Stillhalten der Atomlobby
Die Atomlobby hingegen hat es in den letzten Jahrzehnten völlig versäumt, über die tatsächlichen Risiken aufzuklären und falsche Vorstellungen auszuräumen.
Atomkraftwerke wurden in Deutschland als Gelddruckmaschine für die großen Stromkonzerne gesehen, die sich auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger bereichern. Immer noch herrscht nicht das Bild von einer hochentwickelten Technik, sondern eher von grün leuchtenden Fässern und dem tollpatschigem Homer Simpson, der in einem Atomkraftwerk seine Zeit totschlägt.
Sprüche wie „Wind und Sonne schreiben keine Rechnung“ und Aufkleber wie „Atomkraft? Nein danke“ waren besonders beliebt bei Menschen aus der linken und grünen Szene, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft. Einige meiner Lehrer trugen solche Aufkleber auf ihren Rucksäcken, ebenso wie Studenten und natürlich Umweltaktivisten.
Merkel wie die Fahne im Wind
Nach dem Unglück in Fukushima 2011 fühlte sich Angela Merkel fast gezwungen, aus der Atomkraft auszusteigen, sonst hätte sie es wohl schwer gehabt, wiedergewählt zu werden. Im Herbst 2010 hatte die Merkel-Regierung noch eine Laufzeitverlängerung vereinbart und als Physikerin sollte sich Merkel mit Kernenergie eigentlich gut auskennen. Sie sagte damals noch: „Wir wissen, wie sicher unsere Kernkraftwerke sind. Sie gehörten zu den weltweit sichersten“.
Dann machte sie eine 180-Grad-Wende und verhängte ein dreimonatiges Moratorium für die ältesten Atomkraftwerke des Landes und leitete eine Überprüfung der Sicherheit aller Atomkraftwerke ein. Alle großen Parteien waren sich über den Ausstieg einig, auch wenn viele das heute nach der Krise bestreiten.
Plötzlich ist jeder Atomphysiker
Ich kann mich noch gut erinnern, wie in der Zeit nach der Katastrophe in Fukushima Daiichi im Fernsehen Tag und Nacht Sondersendungen liefen, wie gefährlich die Atomkraft sei. Schauspieler und andere nicht fachkundige Prominente setzten sich für den Ausstieg aus der Kernenergie ein.
Dass die Bauart und die Sicherheitsstandards der deutschen Kernkraftwerke eine völlig andere ist als die in Japan, interessierte niemanden. Das Risiko von Tsunamis ist ebenfalls nicht gegeben. Die „German-Angst“ hatte die Kontrolle übernommen. Anschließend beschloss die schwarz-gelbe Merkel-Regierung den Ausstieg aus der Atomkraft bis zum Jahr 2022 ohne konkreten Plan, wie es danach weiter gehen soll.
Allein aus Gründen der Versorgungssicherheit, des adäquaten Ersatzes für Atomkraftwerke und der Diversifizierung des Energiebezuges, konnte ich die Entscheidung für einen Ausstieg nie nachvollziehen. Anstatt die Kernkraftwerke abzuschalten, wäre es mir lieber gewesen die Kohlekraftwerke abzuschalten. Kohle ist mit Abstand die dreckigste und gesundheitsschädlichste Form der Energieerzeugung.
Putin ist schuld, oder doch nicht?
Nach dem Überfall durch Russland auf die Ukraine im Februar 2022 explodierten die Strom- und Gaspreise erheblich. Im Allgemeinen heißt es, der Krieg und Putin trägt die Schuld daran. Die Energiepreise stiegen jedoch schon Monate davor auf neue Allzeithochs. Die Energiewende hatte ihr Fundament fast ausschließlich auf flexible Gaskraftwerke zum Ausgleich der fluktuierenden erneuerbaren Energien und auf billiges Gas aus Russland gesetzt.
Die Bundesregierung hat mit dem Feuer gespielt und sich verbrannt. Vermutlich würde freiwillig keine Privatperson und erst recht kein Unternehmen sein Schicksal in die Hände eines einzigen Lieferanten geben. Erst recht nicht in die von Wladimir Putin.
Die Zeichen der Zeit ignoriert
Spätestens nach den größeren Unruhen in den Ukraine Ende 2013 und dem geopolitischen Machtspielen zwischen dem Westen und Russland, sollte jedem klar gewesen sein, wie fragil die Lage ist.
Schon Ende der 90er wurden in geopolitischen Büchern wie zum Beispiel „The Grand Chessboard“ von Zbigniew Brzezinski mögliche Konflikte zwischen dem Westen und Russland prognostiziert. Explizit wurde hier auf die Wichtigkeit der Ukraine als Pufferzone für Russland betont.
Ich bin der Meinung, dass der Handel zwischen Ländern der wichtigste Beitrag zum gegenseitigen Verständnis und zum Frieden ist. Jedoch sollte man nie alles auf ein Pferd setzen.
Strategisches Denken scheint die Bundesregierung komplett verlernt zu haben. Sie tat einfach gar nichts, was zur Diversifizierung der Gasbezüge hätte beitragen können. Die Risiken ihrer Politik haben ihnen bekannt sein müssen.
Wind of Change und die Folgen der Planlosigkeit
Derzeit ist ein Umdenken in Deutschland in Sicht. Viele Menschen wollen zurück zur Kernenergie und halten den Ausstieg für einen Fehler.
Zumal sich die Gas- und Strompreise zeitweise verzehnfacht haben und jetzt immer noch doppelt so hoch sind wie vor 3 Jahren. Während ich gerade schreibe, sehen wir ein neues 2-Jahres-Tief bei den Strompreisen für den deutschen Baseload-Future.
Man könnte jetzt annehmen, dass sich die Lage wieder normalisiert. Sieht man die Entwicklungen allerdings im Kontext einer nahenden weltweiten Rezession und dem Rückgang der Industrieproduktion sowie des Stromverbrauchs um über 20 % gegenüber dem Vorquartal, besteht hier leider kein Grund zur Freude.
Viele Unternehmen denken an Abwanderung oder haben es bereits getan.
Klimaschädigung durch Abwanderung
Jede Abwanderung von Produktionsstätten ins Ausland, bedeutet eine größere Belastung für die Umwelt. Deutschland ist bekannt für strenge Umweltgesetze und hohe Standards in Bezug auf Energieeffizienz, Umweltmanagement, erneuerbarer Energiemix und Emissionen.
Durch sogenanntes „Carbon Leakage“ reduziert sich zwar der Co2-Ausstoß in Deutschland und der EU, führt allerdings in einem Land außerhalb der EU zu mehr Co2-Ausstoß. Denn außerhalb Deutschlands und der EU sind die Umwelt- und Klimagesetze um einiges lockerer.
Hinzu kommen noch der technologische Transfer und die Abwanderung von Know-how und Innovation.
Wichtig, aber richtig
Erneuerbare Energien sind unverzichtbar, tragen zur Unabhängigkeit durch andere Energiequellen bei und leisten einen Beitrag zum Klimaschutz. Allerdings sollte an erster Stelle immer die wirtschaftliche Stabilität des Landes stehen.
Günstige Energie ist der Schlüssel für Wohlstand und nur mit einer starken Wirtschaft kann eine Energiewende gelingen. Ansonsten ist niemand mehr da, der die Kosten für eine Energiewende bezahlen kann.
Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung, wenn Sie energiewirtschaftliche Beratung benötigen
Mit meiner Erfahrung aus über 23 Jahren bei einem Energieversorger helfe ich Ihnen dabei, Ihre Energiebeschaffung zu optimieren. Ich begleite Sie von der Idee bis zur Umsetzung, damit Sie mit einer geeigneten Beschaffungsstrategie Ihre Energiekosten minimieren.
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2 Antworten
Was durchaus noch Erwähnung finden sollte, ist die Historie der Kernenergie in Deutschland:
– Aufholen auf die Vorsprünge z.B. der US-Amerikaner per LWR und DWR
– Eigene Entwicklungen/Regeln der Sicherheitstechnik
– Vorsprung von 40 Jahren beim HTR (sollte bei Bayer und BASF auf dem Werksgelände gebaut werden)
– Vorsprung bei Schnellen Brütern (Verarbeitung U238 & Plutonium)
– Mythen zur Endlagerung
Und nicht zuletzt: Was würde man heute anders machen…..
Hallo Herr Maus,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich denke diese Thematik ist einen eigenen Blogartikel wert. Ein paar dieser Themen, die Sie erwähnt haben, werden bald hier in einer Blog-Serie behandelt.